Lateinschule Oberursel








Die Lateinschule in Vrsel? Nachgeforscht!

In den kurzgefassten Darstellungen der Stadtgeschichte Oberursels, sei es in Broschüren für Neubürger, sei es in Faltblättern für einen Altstadt-Rundgang oder im Internet-Auftritt der Stadtverwaltung, erscheinen für das Zeitalter der Reformation stets zwei Daten: 1522 Gründung der Lateinschule, 1557 Gründung einer Druckerei. Solche Informationen signalisieren Aufgeschlossenheit, Fortschritt und Bildungsengagement. Auch heute noch soll dieser Eindruck vermittelt werden. So ist eben Oberursel!

Das genaue Datum 1522 und der Name eines Gründers, Erasmus Alber, läßt einen fixierten Beginn der Lateinschule vermuten. Einen solchen Gründungsakt hat es aber nicht gegeben. Hatte der Lokalhistoriker August Korf 1902 noch mit dem Zusatz „wohl“ eine Vermutung ausgesprochen (Korf, S.9), so formulierte der Chronist Ferdinand Neuroth nur drei Jahre später „Erasmus Alberus kam 1522 nach Oberursel, um hier eine Lateinschule einzurichten. Die Gründung dieser Unterrichtsanstalt beweist zur Genüge …“ (Neuroth, S.120). Der Stolz auf das Bildungsstreben unserer Vorfahren hatte aus dem Verdacht ein Faktum gemacht: Mit Namen und Jahr.

Es gibt aber kein Dokument und keinen nachprüfbaren Hinweis zur Gründung einer Lateinschule am Ort. Der Übergang von der deutschen Schule mit der Vermittlung von Grundkenntnissen in Lesen, Schreiben und Rechnen zur „höheren Schule“ ist ein schwieriger, hindernisreicher Prozess, der sich über mehrere Jahre erstreckte, in Oberursel etwa von 1540 – 1561. Der Versuch, in den wenigen erhaltenen Urkunden, Berichten, Protokollen und anderen Quellen Spuren dieses Prozesses zu finden und die Entwicklung zu rekonstruieren ist mühsam, aber er zeigt auch den Umfang der damals erforderlichen Leistungen sowie die Ausdauer und Zielstrebigkeit aller Beteiligten, der Bürger in der Stadt vor allen.

Eine bewegte Zeit (1522 – 1540)

In der fraglichen Zeit waren es insbesondere zwei Männer, die großen Einfluss ausübten:

Philipp Reiffenstein, um 1480 geboren, Sohn des Bommersheimer Schultheißen Wilhelm Reiffenstein, Jurist, 1508 Secretär und 1518 Rat des Grafen Eberhard von Eppstein. Er pflegte enge Beziehungen zu den Humanisten in Frankfurt, wo er selbst auch bis 1518 Bürgerrecht besaß. Ein enger Freund ist Dr. Jacob Mycillus aus Straßburg, von 1523 – 1547     Rector der Lateinschule in Frankfurt/Main. Er ist überzeugter Humanist im Geiste des Erasmus von Rotterdam und oft im Streit mit den streng lutherischen Theologen Frankfurts. Philipp Reiffenstein erhält für treue Dienste 1529 die „Burg“ in Oberursel und die dazugehörenden Erträgnisse zum Geschenk. Dort lebt er als Amtmann und Schultheiß bis zu seinem plötzlichen Tod 1551: Er wird auf dem Weg nach Neu-Weilnau zu seinem Bruder von zwei Räubern erschlagen.

Graf Ludwig von Stolberg-Wernigerode, 1505 im Harz geboren, trägt sich am 18. Oktober 1520 als Student in Wittenberg ein und hört außer Martin Luther insbesondere auch Vorlesungen bei Philipp Melanchthon,. dem „Lehrer Deutschlands“. In den folgenden Jahren lebt der junge Graf  bei seinem Onkel, Eberhard IV, Graf von Eppstein in Königstein. Der ist in seiner Ehe kinderlos geblieben, .und möchte seinen Neffen als Nachfolger sehen. Im Mai 1535 übernimmt dann Graf Ludwig von Stolberg- Königstein die Regentschaft, auch für Rochefort, Wertheim, Münzenberg, Agimont und Breuberg. Hatte Eberhard noch die von Wittenberg ausgehende Reformbewegung bei seinen Untertanen geduldet, so war er doch selbst beim alten Glauben geblieben. Ludwig stellte sich jedoch eindeutig auf die Seite der Lutherischen und führte am 2.Juli 1540 offiziell in seinem Herrschaftsgebiet das Augsburger Bekenntnis ein. Von seinen vielfältigen Interessen und seiner breiten Allgemeinbildung zeugt das noch erhaltene Bestandsverzeichnis seiner Bibliothek auf der Burg in Königstein. [Jacobs, Bibl.]

Abb. 1 Graf Ludwig von Stolberg-Königstein (1505-1574), dargestellt auf seinem Grabmal in der Stiftskirche von Wertheim/Main. (Foto: M. Kopp)

Auch Erasmus Alber, der im Zusammenhang mit der Gründung der Lateinschule genannt wird, soll hier noch erwähnt werden. Um 1500 wird er in Buchenbrücken bei Friedberg als Sohn eines Pfarrers und dessen Magd geboren Nach einer turbulenten und leidensreichen Schulzeit wird  Alber  im Juni 1520 in Wittenberg immatrikuliert, fast gleichzeitig mit Ludwig von Stolberg. Ab 1521 ist er auf der Suche nach einer Anstellung als Lehrer oder Pfarrer. Nach kurzer Tätigkeit als Unterlehrer in Büdingen findet er im Herbst 1522 ein Unterkommen bei seinem Onkel Henne Alber, der 1515 – 1524 als Schultheiß in Oberursel nachweisbar ist. Weil die Schwierigkeiten im Streit um die rechte Lehre in der Urseler Gemeinde den jungen Schulmeister erheblich belasten, geht er zur Schule nach Eisenach, kommt aber bei diesem Wechsel vom Regen (Oberursel) in ein tiefes Wasser (Eisenach) [Steinhauer, S.28]. Er kehrt nach einem halben Jahr zurück, unterrichtet wieder, übernimmt einen Auftrag in Usingen bei Ritter Konrad von Hattstein, kommt wieder zurück und findet schließlich 1528 eine Pfarrstelle in Sprendlingen.

Erasmus Alber ist und bleibt bis zu seinem Tod 1553 ein eifriger, aber auch eifernder Schüler Luthers, ein begabter Fabel- und Lieddichter, ein engagierter Schulmeister, aber auch ein umgetriebener Geist. In seiner Biographie erscheinen 24 Orte zwischen Basel, Rothenburg o.d.T., und Lübeck, dazu Wittenberg mehrmals, in denen er einige Wochen, mehrere Monate, selten auch Jahre Arbeit und Brot fand. Keinesfalls war er der Mann, der planvoll und beharrlich die Gründung einer Lateinschule betrieb. Seine Fabel „Von einem armen Edelmann, Dauid wolgemut genent“ [Text der Fabel über V1], die er der Stadt Vrsel zum Neuen Jahr 1537 widmete, beschreibt die Stadt und ihre Bewohner nicht nur in guter Erinnerung an vergangene Tage, sondern auch in der Hoffnung auf eine solide Anstellung in naher Zukunft. Dazu kam es aber nicht! 

Für die Meinungsbildung unter der Bevölkerung Oberursels und die Beratungen und Entscheidungen im Rath  war die Nähe zur Reichsstadt Frankfurt von großer Bedeutung. Die Kontakte waren häufig, die Beziehungen eng. Am 22.April 1525 erzwangen im Zusammenhang mit den Bauernkriegen die Evangelischen Brüder in Frankfurt und Bürger aus allen Teilen der Stadt die Zustimmung des Rates zu den „46 Artickeln“. Darin forderten sie den Abbau städtischer, vor allem aber kirchlicher Privilegien. Für die Urseler war dies der Anstoß, den altgläubigen Pfarrer Johannes Rau zu verjagen. Auch ohne das Einverständnis des zuständigen Bartholomäus-Stiftes in Frankfurt beauftragten sie den lutherisch predigenden Dietrich Sartorius. Rau sollte an die Dreikönigskirche in Sachsenhausen, aber die Gemeinde dort wollte den „tyrannischen und zankhafftigen Kopff“ mit seinem „trotzigen, neydischen Gemüte“ auch nicht haben.

In solch bewegten Zeiten konnte eine Schulgründung nicht unternommen werden. Die erforderlichen Voraussetzungen für die Errichtung einer Lateinschule waren noch nicht gegeben. Solche Voraussetzungen sind:

Die Bildungsziele der herrschenden Regierungsgewalt müssen benannt, ausgeführt und in einem Lehrplan umsetzbar sein.

Zwei Lehrkräfte, die theologisch, sprachlich und pädagogisch qualifiziert sind, müssen fest angestellt sein.

Die Finanzierung der Personalkosten ist durch Übertragung von Zinsanteilen und Erträgnissen aus Stiftungen dauerhaft zu sichern. Elternbeiträge sind zu erheben.

Ein oder zwei Räume sollen für den Unterricht zur Verfügung stehen.

 Am Ort selbst und in der näheren Umgebung muß es eine ausreichende Zahl williger und fähiger Schüler geben.

 

Bildungsziele

Den ersten Entwurf einer Schulordnung unter reformatorischer Zielsetzung legte Philipp Melanchthon 1528 vor in seinem „Unterricht der Visitatoren an die Pfarhern ym Kurfürstenthum Sachsen“.  Er lieferte damit eine Vorlage, die in fast allen nachfolgenden Kirchen- und Schulordnungen die Grundlinien vorgab.

Er beginnt mit der Aufforderung „Es sollen auch die Prediger die Leute vermanen, yhre Kinder zur schule zu thun, damit man leut auffziehe, geschickt zu leren yn der Kirchen vnd sonst zu regieren“.[Melanchthon, S.90]  Eine Schulpflicht für Kinder gab es nicht – da waren die Eltern gefragt –, aber die Verpflichtung der Landesherren, für ein qualifiziertes Bildungsangebot zu sorgen, wurde im Zuge der Reformation biblisch und gesellschaftspolitisch begründet.

So erscheint 1563 auf Veranlassung von Graf Ludwig auch eine Kirchen- und Schulordnung, die in seinem Herrschaftsgebiet gelten soll. Sie wird in der Urseler Druckerei des Nicolaus Henricus aufgelegt und geht im wesenlichen auf die Ausgabe des Wolfgang, Pfalzgrafen bey Rhein, zurück, die sechs Jahre vorher erschienen war. In seinem Vorwort schreibt Graf Ludwig: „Haben Wir aus Christlichem Gemüt/ vnd Lieb zu Gottes Wort/ vnd Veterlicher fürsorge für vnsere Vnterthanen vnd Nachkomen/ auff allerley mittel vnd wege gedacht/ vnd endlich die Kirchenordnung/… für vns genomen vnd vleissig durchlesen/ betrachtet vnd betrachten lassen. Haben auch befunden/ das die Form der Lere darin gefasset/ der heiligen Göttlichen Geschriftt … in allen stücken gemes. … Wir sind von hertzen erfrewet/ vnd haben derhalben/ mit zeitigem wolbedachten Rath beschlossen/ diese Christliche Kirchenordnung/ in alle Kirchen vnser Grave vnd Herrschafften zu bescheiden/ Welches Wir auch hiemit thun.“ Datum zu Königstein den 1. Septembris/ Anno Salutis 1563.

Abb. 2  Titelblatt der „Kirchen- und Schulordnung“, die Graf Ludwig von Stolberg-Königstein 1563 in seinem Herrschaftsgebiet eingeführt hat. (Ursel, Nicolaus Henricus, 1563)

Im vierten Teil der vorgenannten Kirchenordnung (Bl.147v – 152v) sind Unterrichtsziele und –inhalte genannt. Die Schüler werden in drei oder vier „heufflein“ (Klassen) unterrichtet. Die Anforderungen steigen kontinuierlich. Es beginnt mit Lesen und Schreiben, zunächst deutsch, dann aber schon mit Anfangskenntnissen in Latein. Die zweite Klasse fängt an mit lateinischer Lektüre, z.B. Fabeln des Aesop, „De civitate morum“ des Erasmus von Rotterdam, aber auch mit Texten aus dem Neuen Testament und dem Catechismus. Grammatik, Etymologie (Wortkunde) und Syntax (Satzbau) werden täglich geübt und die Regeln auswendig gelernt. In der dritten Klasse wird die Lektüre von Schriften des Vergil, des Cicero und des Salust begleitet von der regelmäßigen Wiederholung des bisher Gelernten. Lehrer und Schüler reden in der Regel Latein. Gibt es genügend begabte und willige Schüler, so kann eine vierte Klasse gebildet werden. Ihr Schwerpunkt liegt dann im Üben von Rhetorik. Für alle Schüler sind Singen und Musik Pflicht, aber auch die Mitwirkung bei allen Gottesdiensten und Kasualien. Die Ordnung hebt auch die Bedeutung des Schulmeisters als Vorbild in Wissen und Lebensführung hervor. Es sind monatlich Visitationen durch die Obrigkeit zu halten. [Text der Schulordnung über V2]

Als nach dem Tod des Grafen Ludwig am 1. September 1574 und seines kinderlosen Bruders und Nachfolgers Graf Christoph die Grafschaft 1581 vom Kurfürstentum Mainz in Besitz genommen wird, bleibt die lutherische  Glaubens- und Gottesdienstpraxis weiter in Kraft, ebenso der Lehrplan der Lateinschule. Erst am 21.August 1604 mit dem Vollzug der Restauration werden sie ausgesetzt.

Schulmeister, Lehrer, Magister

Wie der Blick auf die 1520 in Frankfurt begründete Lateinschule zeigt, sind mehrere Schulmeister erforderlich, um die einzelnen Klassen zu unterrichten. Bei der gut besuchten Schule dort waren neben dem Rector noch drei weitere Lehrkräfte tätig. In Ursel reichten für die anstehenden Aufgaben zwei Personen aus. Die Tätigkeit als Schulmeister war häufig eine Station auf dem Weg zum Caplan und dann zum Pfarrer. Wenn Lehrermangel war, dann mussten auch die letztgenannten in der Schule Dienst tun. Organistendienst war für Schulmeister eine zusätzliche Einnahmequelle.

Der erste Schulmeister, der in Oberursel namentlich nachweisbar ist, ist Magister Wolfgang Laurinus. 1561 wurde er Nachfolger des verstorbenen Pfarrers Eberhard Haberkorn. Er hatte einige Zeit vorher dessen Tochter geheiratet, und als der Superintendent Prätorius in Königstein ihn als Nachfolger für den verstorbenen Haberkorn vorschlug, lobte er nicht nur die Vorzüge des Laurinus, sondern wies auch darauf hin, dass dieser schon seit mehreren Jahren in Ursel „tüchtig im Unterrichten“ gewesen sei. Ebenfalls in einem Brief des Superintendenten an den Frankfurter Pfarrer Hartmann Beyer (17. Sept. 1561) wird ein Magister Johannes Rupellius erwähnt, der in Ursel an der Lateinschule tätig ist.

Die bestimmende Person in Lateinschule, Caplanei und Pfarramt in Oberursel war über 27 Jahre hinweg der Theologe Johannes Phyldius. 1547 in Friedberg geboren, 1574 in Marburg als Student eingeschrieben, wird er 1577 Rector der Lateinschule, 1584 Caplan und 1597 Pfarrer  Er war es auch, der im September 1604 seinen Dienst quittieren musste. In Esslingen/Pfalz fand er wieder eine Anstellung und wirkte dort bis zu seinem Tod am Jahresende 1617.Im Zeugnis, das ihm der Rat für seinen Dienst in Oberursel ausstellte, heißt es:“Als sagen vnd bekennen wir, so hoch als vns die Wahrheit zu bekennen obliget, dass Ehrengedachter Magister Joannes Phyldius, erstlich vnsere Schulen achthalb Jahr als ein Rector trewlich versehen die liebe Jugendt mit sonderem Fleiß in Sprachen vnd artibus logicis, darzu dem heyligen Catechismo unterweiset, darnach vnserer Kirchen als ein Caplan, Zwölff Jahr, endlich als ein Pfarrherr Sieben Jahr lang versehen, solche Zeit vber die Schrifften Altes vnd Newes Testaments nach der vnverfälschten Augspurgischen Confessions Lehre fleißig fürgetragen“. Im Lebenslauf heißt es: [Ihm ist] „in der Lateinischen Schule zu Ursel das Rectorat/ vnd darmit manches ehrlichen Einheimischen vnd Ausländischen Mannes Kindt vnnd feines ingenium (Begabung) vertrawet worden. Wie fleißig er sich aber in solchem Rectorat gehalten bezeugen viel Herrliche/ Hoch- vnnd Wolgelehrte/ auch Fürnehme Männer/ welche auß seiner Schulen kommen/ vnd an jetzo in Geistlichem vnnd Weltlichem Standt ansehenliche vnnd wolbediente Leute seyndt.“

Abb. 3  Die Ansicht der Stadt Oberursel zeigt gleich rechts von der Kirche mit hoher Spitze die Michaelskapelle. (Kupferstich von Eberhard Kieser, um 1630)

Am 21. August 1604 heißt es im Protokoll der kurfürstlichen Kommission zur Rückführung der Gemeinde in die  katholischen Religion: „ Nach diesem [Verhör der Ratsmitglieder] seind die pfarher, Caplan, Schuldiener auch vorbescheidung nach vorbescheidung derselben Ihrer Churfürstl. Gnaden verordnung, vnd das sie nunmehr sich der schulen vnd kirch mäßigen vnd enthalten sollen….Haben sich vff diese anzeig vnd erklerung [dass die Erträgnisse bis zum Ende der Ernte noch gezahlt werden] bedanct vnd Ihren abschiedt genommen.“ [Urs.Ref., Prod 18]

Finanzierung

Bei der Übergabe der  Abrechnung für die Pfarreinkünfte legen Johannes Phyldius als bisheriger Stelleninhaber und Conrad Diel als sein katholischer Nachfolger die Jahresrechnung von 1603 zugrunde. Darin heißt es zur Schule[Korf, S.119f.]:

„Der Oberst Schulmeister hat Jahrs 80 fl. würdt Ihm von St. Michels Altar, welchen Grave Ludwig zur Schul geben, geliffert. Es gibt auch ein inheimischer Schüler Jahrs ½ fl. Ein Außländischer 1 fl. Läst der Rath das Altar gefell, auch das geldt von den Jungen durch eine besondere Person vffheben, vnd die schulmeister belohnen.

Der Under-Schulmeister hat von der Schul 50 fl. vnd 4 Achtel Korn, vnd von der Orgel 6 Achtel Korn vnd 10 fl. geldt….

St. Michels Altar, darvon die schulmeister besoldt werden, hat Jahrs 13 ½ Achtel Korn auß dem großen Zehenden…. Es hat auch eigene Pfar Caplaney= vnd Schulbehausungen. . vnd geschehen die Rechnungen vor dem Herrn Oberamptmann.“ [Korf, S.119]

Im Vergleich zum Gehalt des Rectors in Frankfurt im Jahre 1550 mit 150 fl. ist die Besoldung in Oberursel dürftig. Wenn aber im Rentbuch des Grafen Ludwig aus dem Jahre 1542 ein Betrag von 25 fl. als Beitrag zu den Personalkosten der Schule erscheinen [Korf, S.18], dann ist die Steigerung bis 1603 doch beachtlich.

Zu dem Ertrag aus den Stiftungen für den S. Michaels Altar, der für den Unterhalt der Schule, dann Lateinschule, vorgesehen war, gibt der streitbare Briefwechsel zwischen dem Rat der Stadt Ursel und dem Bartholomäus-Stift in Frankfurt im Juni/August 1590 interessante Hinweise. Das Stift wollte diese und andere Erträgnisse in die Verfügungsgewalt bekommen.

Abb. 4  In der Michaelskapelle, rechts vor dem Kirchturm im Obergeschoß, war die Lateinschule untergebracht. Die Zeichnung von Franz Schütz, zeigt die Kapelle, die 1645 ausgebrannt war, im Jahre 1776.

 Es begann im und nach dem Bauernkrieg 1525: „Die Graven zu Königstein und die vnderthanen zu Vrsell haben damahls mit einziehung Vnsers zehendts vnd Collatur (d.i. die Pfarrstellenbesetzung) kraft ihrer vermeintten Religion sich de facto vnderstanden, dem

allgemeinen Kaiserlichen als auch geistlichen rechten zuwider.“

Ein weiteres Argument betrifft die Erhöhung der Abgaben, „dass sie, die Vrsuler einen besonderen zehendt aus vnserm district für sich selbst angericht, den sie den Michels zehendt genant, vnd denselben in so wenig Jahren dermassen so hoch ersteigert haben, dass er sich bißweilen vf die 24 Malter belauffen thut.“ Wenn in der Antwort der Urseler einmal auf die nachweisbare, ordnungsgemäße Abrechnung und stets zweckgebundene Verwendung,  einzusehen im Archiv von Königstein, verwiesen wird, so gibt ein anderer Hinweis eine Begründung zur kräftigen Erhöhung: „wie schmal vnd gering die armen kirchen vnd schuldiener alhie belohnen, und hingegen so ein namhaffter überschuß gen Franckfort järlich geliefert werde.“ Mit anderen Worten: Solange das kirchliche Stift in Frankfurt Empfänger der Erträge war, solange hielt man die Summe der Abgaben möglichst gering. Als aber das Geld für die eigenen Zwecke, zum Beispiel die Lateinschule, verwendet werden konnte, erhöhte man die Steuer. Das Stift aber sollte keinen „namhafften überschuß bekommen.“

 

Räume

Als Ort der Lateinschule wird in der Tradition die Michaelskapelle neben der St. Ursulakirche genannt. Im Erdgeschoß wurden die Gebeine Verstorbener aufbewahrt, die bei der Anlage neuer Grabstätten auf dem nahegelegenen Friedhof bei der Kirche gefunden wurden. Über diesem Beinhaus lag ein Raum, der als Kapelle diente. Die Verehrung des Erzengels Michael als Seelengeleiter für die Verstorbenen wurde im Laufe der Jahre von den Lutherischen aufgegeben, so dass Graf Ludwig die Verwendung ändern konnte. So waren Kirche, Caplanei, Pfarrhaus, Schule, später auch Druckerei, nahe beieinander. Da im Verzeichnis der 1645 durch Brand zerstörten Gebäude auch „die Schul wo eine schöne Capelle geweßen, undt bey der kirch gestanden“ aufgeführt wird, bleibt unbekannt, ob ein oder zwei Räume und eine Treppe auf der Fläche von ca. 8 x 11 m angelegt waren.

Schüler

1542 hatte Oberursel 194 Häuser mit 235 Haushalten, das sind etwa 1.100 Einwohner.[ Roth S.26]. Bis 1601 stieg die Zahl der Haushalte auf 280. Die Abwanderung im Zuge der Gegenreformation und der Zerstörungen im 30jährigen Krieg reduzierte die Einwohnerzahl um mehr als 50%. In der näheren Umgebung lagen nur wenige Gemeinden, deren Kinder als Besucher einer Lateinschule in Oberursel infrage kamen. Zentrum der Bildung und Ausbildung für die ganze Region war die Stadt Frankfurt. Von humanistischen Interessen ausgehend war dort bereits 1519 eine Lateinschule ins Leben gerufen worden. Ihr erster Rektor war ab 1520 Wilhelm Nesen. Diese Möglichkeit, auf einer Höheren Schule den Übergang zum Universitätsstudium zu erwerben, wurde von Jungen aus der Region gerne genutzt. Im Bereich der beruflichen Ausbildung war dies schon seit langem üblich. 2 ½ Stunden wegs entfernt, war damals kein großes Hindernis. Dennoch sparte eine Lateinschule in Oberursel zeitraubende Wege und Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Sie war aber auch Ausdruck des lutherisch bestimmten Bildungsstrebens der Bürger in Oberursel.

Abb. 5   Alltägliche Szene aus einer großen Lateinschule mit den drei „heufflein“ im Unterricht. (Holzschnitt, 1592)

Eine direkte Nachricht von Schülern der Lateinschule finden wir in der Erstausgabe der „Historia von D. Johann Fausten, dem weitbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler“, Frankfurt am Main, 1587. Der Drucker, und wohl auch Herausgeber (Baron, S.18 ff.], Johann Spies, stammt aus Oberursel. Er widmet das Werk „den ehrenhaften/ Wohlachtbaren vnd Fürnehmen Caspar Koll/ Churfürstlichem Maynzischen Amtsschreibern vnd Hieronymo Hoff/ Rentmeistern in der Grafschaft Königstein/ meinen inssonders günstigen lieben Herr vnd Freunden, … zu einem öffentlichen Zeugnuß der sonderlichen Lieb vnd Freundschaft/ die sich zwischen vns/ zum Teil in der Schul zu Ursel/ … und noch auf den heutigen Tag erhalten.“ (Frankfurt am Main, 4.Sept. 1587). Alle drei waren um 1540 geboren.

Wenn man Einwohnerzahl der Stadt und ihrer Umgebung, Finanzierung, Lehrerkapazität,  Raumangebot und vergleichbare Einrichtungen im süddeutschen Raum in Beziehung setzt, dann kann man die Zahl der Schüler der Lateinschule in Oberursel auf bis zu 30 Jungen in den Jahren 1565 – 1595 schätzen. Wenn Korf schreibt (S.11], dass die Zahl der auf den Universitäten studierenden Jünglinge Oberursels keine unbedeutende war, dann zeigt das zwar seinen Stolz, ist aber bei seiner Auswertung dreier Matrikel (Wittenberg, Marburg, Heidelberg) zwischen 1533 und 1598 mit 43 Nennungen bescheiden. Schließlich weist der Namenszusatz „Vrsellanus“ auf die Herkunft, nicht den Schulort hin.

Eine Schule im Abgang

Noch im Jahre 1597 hatten die Stiftsherren in Frankfurt in Ausübung ihres wieder erlangten Besetzungsrechtes für die Pfarrstelle in Oberursel der Bitte des Rates und der Gemeinde der Stadt zugestimmt, dass der lutherische Johannes Phyldius die Pfarrstelle erhält, die durch den Tod des bisherigen Pfarrers frei geworden war. Im Protokoll ist zwar vermerkt, „das Sye gerne einen katholischen Priester so der altten wahren Religion zugethan“ auf dieser Stelle gesehen hätten, aber weil die Zeiten gefährlich und der Religionsfrieden mühsam sei und der Bewerber das Vertrauen der Gemeinde genieße, stimmen sie zu.

Solche Kompromissbereitschaft war mit der Einsetzung des Johann Schweikhard von Kronberg als Erzbischof und Kurfürst von Mainz am 17. Februar 1604 vorbei. 1553 geboren, Sohn des Hartmut von Kronberg, lutherisch getauft, jesuitisch erzogen, mit 11 Jahren konvertiert, wählt er die geistliche Laufbahn und erreicht mit der Wahl in Mainz sein Ziel. Aus persönlicher Überzeugung und in Sorge um das Heil seiner Untertanen betreibt er entschieden die Rückkehr zum alten, wahren, katholischen Glauben.

Bereits am 20. Februar und dann erneut am 11. August 1604 überreichen Abgesandte aus Ursel Bittschriften, in denen sie den Erhalt der Augsburgischen Confession fordern. Sie wollen selbstverständlich gehorsame und treue Untertanen sein, nur in Fragen der Religion wollen sie bei der bisherigen Praxis bleiben. In ihrer Argumentation versuchen sie, die Frage nach der wahren Religion von der politischen Ordnung zu trennen. Sie führen in der  ersten Supplication Zitate der „Heyligen Väter“ an, in denen klar gesagt wird, dass in Fragen der Religion niemand gezwungen werden soll: Tertullian, Gregor von Nazianz, Chrysostomus, Cyprian und sogar das kanonische Recht werden genannt. In der zweiten Supplication stellen sie die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund: Vater Unser, Glaubensbekenntnis, Taufe, Busse, Abendmahl, Gebet, Zehn Gebote. Dies alles auf Befehl Gottes und Jesu Christi. Beide Bittschriften werden schroff zurückgewiesen.

Abb. 6   Grabplatte des Johannes Phyldius in der Ev. Kirche von Essingen/Pfalz von 1618. Darauf wird lobend erwähnt, dass er bis zu seiner Vertreibung 1604 27 Jahre lang in Ursel als Rector, Caplan und Pfarrer gewirkt hat (Foto: M.Kopp)

Den Auftakt zum Vollzug der Rekatholisierung in der Grafschaft Königstein, in Oberursel insbesondere, setzt die kurfürstliche Kommission am 20./22. August 1604 durch Proklamation und  Begründung der kurfürstlichen Entscheidung und  Befragung der Rats- und Gerichtspersonen, sowie zahlreicher Bürger. Sie sollen „mit einem guten erbawlichen Exempel vorgehen, … zu Sohn- und Feyertägen die Kirch zu besuchen, die gemeine Bürgerschafft, Ihre Kind vnd gesind gleichmäßig darzu anhalten, wie auch die schuln so Jhre Churfürstl. Gn. Verordnen werden, zu besuchen … vnd sich zu den fundamenten der Catholisch Lehr vnderrichten vnd vnderweisen zu lassen.“ [Ursl. Ref. Prod. 18, Text über V3]

Der Widerstand der Urseler Bürger zeigte sich besonders durch den verweigerten Schulbesuch ihrer Kinder. Nur drei Wochen später lässt der beauftragte Schultheiß Johannes Burger „zu Vrsell vff dem Markt vnder der Linden durch den Stattknecht“ den Befehl des Kurfürsten vorlesen: Die Kinder werden „von der schulen abgezogen, vnd vf der gassen hauffen weiß in aller frechheit zu mercklichem Irem schaden vnd versäumung der guten zeit hin vnd wieder vmbschweiffen gelaßen.“ Unter Strafandrohung wird den Bürgern befohlen „am nechst kommenden Dinstag morgens vmb 7 uhr Ire kinder zur Schulen zu verschaffen.“ [Urs.Ref. Prod. 27]

Seit 1603 ist Adam Hertzog als Lateinschulmeister in Oberursel angestellt. In Leipzig geboren, hat er an verschiedenen Orten als Lehrer und Pfarrer gearbeitet, zuletzt in Langen. 1598 kam er als Pfarrer und Inspektor zur reformierten Gemeinde in der Neustadt Hanau. 1600 wurde er seines Amtes enthoben, weil er „allerhand Neues mit päpstlichen Ceremonien einführen wollte.“ Er lebte dann mit seiner Familie dienstlos in Frankfurt, wurde nach vergeblichen Versuchen dort das Bürgerrecht zu erhalten, gezwungen, Anfang 1602  die Stadt zu verlassen. In Oberursel wechselt er zur katholischen Konfession, darf in der Stadt bleiben, wird sogar Rector der Lateinschule, aber die Schüler bleiben aus. Er wird verspottet wegen seines Konfessionswechsels, berichtet am 30. August 1606 nach Mainz, mit welchen Widerständen und welchem Hass er täglich rechnen muß. Kinder werfen mit Steinen nach ihm. Es seien nur drei Schüler in Latein zu unterrichten. Die Schule sei im Abgang begriffen.

Kurz darauf verlässt Adam Hertzog die Stadt, wechselt wieder zum reformierten Bekenntnis und erscheint 1607 dienstlos in Hanau.

Über mehrere Jahre bleibt die Schule ohne Zuspruch. Die Erneuerte Kirchen-Ordnung und ihre Kapitel 21 „Von den Schulmeistern“, legt zwar fest, dass „die Schulmeister nit allein die Kinder im Lesen, Schreiben und Singen unterrichten, sondern auch solche dahin an weisen, dass sie den Catechismum lernen und begreiffen mögen, wie ihnen dann insgesmbt Krafft dieses gnädigst anbefohlen wird … die Articul des Glaubens oder andere Christliche Lehr zu mehrerm Behalt und Gedächtnus mit ihnen widerholen …“[ nach Brück, S.18]

Waren es also zunächst die inneren Widerstände der Eltern gegen die neuen Bildungsziele des Kurfürsten, so war es dann nach den Stadtbränden 1622 und 1645 die äußere Not, die andere Schwerpunkte im Leben der Einwohner setzte.

Schluß

Die Aussage, dass in Oberursel durch Erasmus Alber im Jahre 1522 eine Lateinschule begründet worden sei, ist de facto nicht zu halten. Der Versuch einer Rekonstruktion des Entstehungsprozesses zeigt aber, dass sich für die geistigen Strömungen der Zeit aufgeschlossene Bürger, tragende Bildungsziele der Herrschaft, die Nähe einer umtriebigen Großstadt und die qualifizierte pädagogische Arbeit von Lehrenden vor Ort einen Lerneifer gefördert haben, der staunens- und lobenswert ist. Das ist viel mehr als eine Jahreszahl und ein Name.

Quellen

Kirchenordnung, wie es mit der Christlichen Lere … In vnser Wolffgangs… Pfaltzgrauens       bey Rhein… gehalten werden soll. Ursel, 1563 (Stadtarchiv Oberursel)

Kirchenordnung (wie vor), Erstausgabe 1557, nach: Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, begründet von Emil Sehling, Bd.18: Rheinland-Pfalz I,  Tübingen, 2006, S. 71 – 259, bes.: 4.Theil,    S. 236 – 243

Melanchthon,Philipp Unterricht der Visitatorn an die Pfarhern ym Kurfürstenthum zu Sachssen. Wittenberg, 1528, nach: Phil. Melanchthon, Werke, Corp. Ref. Bd. 26, bes.: Sp.90 – 96.

Akten die Ursler Reformation 1604 ff. betreffend

Staatsarchiv Würzburg, Mainzer Urkunden, Geistlicher Schrank 20, Lade 12.

Akten die Stifte betreffend: Staatsarchiv Würzburg, MRA Stifte, K 679.808

Literatur

Baron, Frank               Faustus on Trial, The Origins of Johann Spies’s  >Historia<, Tübingen, 1992.

Baeumerth, Angelika            Oberursel am Taunus – Eine Stadtgeschichte, Frankfurt/Main, 1991

Bott, Heinrich              Gründung und Anfänge der Neustadt Hanau (1596 – 1620), 1. Band: Darstellung und ausgewählte Quellen, Hanau, 1970, (Hanauer Geschichtsblätter, Bd.22.)

Brück, Anton Phil. (Hg.)Kurmainzer Schulgeschichte – Texte. Berichte .Memoranden, Jacobs, Eduard            Die Humanistenfamilie Reiffenstein, in: Vierteljahresschrift für Kultur und Literatur der Renaissance, 2/ 1887, S.70 – 96.

Jacobs, Eduard            Ein Stück aus der Königsteiner Erbschaft, in: Wernigeröder Intelligenzblatt,  27.Nov. 1867 ff (zu Bibliothek des Grafen Ludwig von

                                    Stolberg-Königstein.

 

Korf, August                Geschichte der evangelischen Gemeinde in Oberursel am Taunus,  Oberursel, 1902

Matthäus, Michael            Hamman von Holzhausen (1467-1536) ein Frankfurter Patrizier im Zeitalter der Reformation,   Frankfurt/Main, 2006

Neuroth, Ferdinand            Geschichte der Stadt Oberursel und der Hohemark, Oberursel, 1905 (1955)

 

Rosenbohm, Rolf            Erasmus Alberus, der Fabeldichter und Begründer der Lateinschule in Oberursel (1522-1527) in: URSELLA, Quellen und Forschungen, Hg. Waldemar Kramer, Frankfurt/M. 1978, S.94 – 111.

 

Roth, F.W.E.              Culturgeschichtliches aus der Herrschaft Königstein, besonders der Stadt Oberursel im 16. Jahrhundert, Oberursel, 1900

 

Schmidt, Jakob            Die katholische Restauration in den ehemaligen Kurmainzer Herrschaften Königstein und Rieneck. Freiburg/Br. 1902

 

Steinhauer, Burkhard            Erasmus Alberus, ein treuer Weggefährte Martin Luthers. Niddaer Geschichtsblätter Nr.3, 1995

 

Stöhlker, Friedrich            Ludwig Graf zu Stolberg, Königstein, Rochefort, 1505- 1574, in: Boese, Alfred: Festbuch zum Burgfest, Königstein, 1978, S.13 – 29.

 

Anlagen über Internet, www.ursella.org

Ein breitangelegtes Quellen- und Literaturverzeichnis sowie einige vollständige Texte findet der Leser im Internet.

V1 Fabel
V2 Schulordnung

V3 Schulpflicht                                                                     Manfred Kopp                                                                                               

28.07.10
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